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Helga Schwarzwald im Interview

22.10.2021
Foto: Ian Ehm

Die Geschäftsführerin vom Verband Freier Rundfunk Österreich, Helga Schwarzwald, im Interview mit HORIZONT:

HORIZONT: Die Inseratenaffäre führte zum Rücktritt von Bundeskanzler Kurz. Die Chatprotokolle offenbarten eine unglaubliche ‚Verhaberung‘ von kommerziellen Medien und Politik. Hätten Sie das für denkbar gehalten?

Helga Schwarzwald: Ja, mich hat das nicht überrascht. Es zeichnet sich bereits seit Jahren in zahlreichen Studiendaten und Publikationen ab, dass enorme Summen öffentlichen Geldes in einer höchst problematischen Vergabepraxis vor allem in den Boulevard fließen.

Wenn also schon bekannt war, dass hier etwas aus dem Ruder läuft, ­warum reagierte man nicht früher?
Das sollte man vielleicht die Verantwortlichen in den Medien- und Verlagshäusern fragen. Aber Österreich ist ein kleines Land und das Medienbusiness konzentriert sich auf wenige große Städte, insbesondere auf Wien. Im Grunde ist das heimische Mediengeschäft sehr von persönlichen Beziehungen und Abhängigkeiten geprägt. Daraus hat sich schon in den vergangenen Jahrzehnten eine „Wer zahlt, schafft an“-Medienkultur entwickelt. Das Team rund um Sebastian Kurz hat das ja nicht erst erfunden, sie haben diese Kultur nur auf die Spitze getrieben. Die Fundamente für diese Kultur wurden schon viel früher gesetzt.

Wo sehen Sie Gründe für die Korrumpierbarkeit der heimischen Medien?
Das Problem ist, dass die eigentliche Medienförderung, wie etwa die Presse- und Rundfunkförderung mit rund 30 Millionen Euro nur einen Bruchteil des Geldes beträgt, das über die Inseratenvergabe der Bundes-, Landes- und Stadtregierungen in Medien fließt. Insgesamt wurden so Mittel in der Höhe von rund 300 Millionen Euro in Gutsherrenart vergeben. Ohne klar definierte Kriterien werden hier also enorme Summen bewegt. Das eröffnet natürlich große Möglichkeiten der Manipulation und ist der Nährboden einer „Wer zahlt, schafft an“-Kultur.
 
Die Medien in Österreich sind also nicht die vierte Macht im Staat?
In Österreich ist die vierte Macht ein Phantasma und die Situation wird immer schlimmer. Wir beschwören die Demokratie und die vierte Macht und gleichzeitig geht diese durch eine Kultur des Image-Making vor die Hunde. Heute zählen kritische Inhalte weniger, sondern der Schein ist wichtiger als das Sein.

Einen großen Beitrag zur Medienvielfalt leisten die nicht-kommerziellen Medien, die der Verband Freier Rundfunk Österreich vertritt. Was geht Ihnen angesichts der riesigen Summen, die freihändig von Bundes- und Landesregierungen vergeben werden, durch den Kopf?
Wir verhungern am vollen Futtertrog, was uns gleichzeitig aber nicht verwundert. Denn wir setzen auf Werbefreiheit und das freiwillige Engagement der Zivilbevölkerung. Zudem sind wir in der Berichterstattung sehr autonom und damit auch unbequem. Wir sind also korruptionsimmun, und somit nicht besonders attraktiv für Politiker, die auf „Message Control“ setzen. In der Zeit der ersten schwarz-blauen Koalition unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von 2000 bis 2005 dauerte es nur ein dreiviertel Jahr, bis die Bundesförderung für den freien Rundfunk weg war. Auf der einen Seite sagt man immer, wir sind so unwichtig, aber auf der anderen Seite ist man ganz schnell dabei, die Stimme der Minderheiten, Regionen und der Zivilbevölkerung mundtot zu machen.

Die nichtkommerziellen Medien, die von Förderungen leben, sind aber auch sehr stark von der Bundesregierung beziehungsweise der Medienförderung abhängig.
So wie alle Medien in Österreich leben auch wir von der offiziellen Medienförderung – unsere Rundfunkförderung ist drei Millionen Euro, die unserer kommerziellen Mitbewerber 20 Millionen. Und wir naschen ganz bewusst nicht am großen Futtertopf der freihändig vergebenen Inserate mit. Aber wie wäre es denn um manch großes kommerzielle Medienhaus bestellt, wenn man die Inseratengelder und Medienförderung streichen würde? Einziger Unterschied ist: Wir haben mit viel Engagement und internationaler Unterstützung auch jene dürren Zeiten überlebt, wo uns alle Förderungen gestrichen wurden. Wir haben viele europäische Kooperationen, ein großes Know-how, Tausende engagierte Journalist:innen und wir arbeiten aus einem inneren Antrieb heraus. Das lässt sich nicht einfach abstellen. Gerne wird vergessen, dass es die ehemaligen Piratensender und heutigen Freien Radios waren, die in den 1990er-Jahren maßgeblich für den Fall des Rundfunkmonopols in Österreich waren und den Weg für private Radio- und Fernsehsender geebnet haben.

Wir haben derzeit aber keine schwarz-blaue Koalition, sondern eine türkis/schwarz-grüne Koalition. Die Grünen stehen ja für Diversität und unterstützten bisher Freien Rundfunk. Hat sich dadurch die Situation nicht gebessert?
Mit dieser Koalition war sehr wohl die Hoffnung verbunden, dass es hier besonders von Seiten der Grünen ein Verständnis für Diversität gibt und auch die nichtkommerziellen Medien eine entsprechende Aufwertung und Förderung erfahren werden. Es wurde zwar im Regierungsprogramm eine Erhöhung der Budgetmittel in Aussicht gestellt, und dennoch kommt es seit zehn Jahren nicht mal auf Basis der Inflation zu einer Anpassung der Mittel. Trotz aktueller Regierungsbeteiligung der Grünen ist in den vergangenen Monaten bei der Anhebung des nichtkommerziellen Rundfunkfonds einfach nichts weitergegangen, das ist schon eine große Enttäuschung für uns. Wir hoffen stark, dass sich jetzt etwas bewegt.

Um wie viel Geld geht es dabei?
Die 17 Freien Rundfunksender haben ein jährliches Gesamtbudget von drei Millionen Euro aus Bundesmitteln. Bei uns arbeiten aber rund 3.000 Menschen journalistisch mit. Wir produzieren regionale Nachrichten, haben gerade in der Krise als wichtige Plattform für die Kultur gedient, leisten seit über 20 Jahren Medienbildung in Österreich und wir schaffen zahlreiche und mehrfach bei den unterschiedlichsten Wettbewerben preisgekrönte Beiträge. Nur zum Vergleich: Der ORF hat ebenfalls 3.000 Mitarbeiter und bekommt aus dem GIS-Gebührentopf rund 643 Millionen Euro. Es geht hier nicht um ORF-Bashing, denn ein starker öffentlicher Rundfunk ist demokratiepolitisch wichtig, aber der nichtkommerzielle Rundfunk wird weitgehend übergangen. Wir werden nicht zu Medien-Enqueten eingeladen und oft nicht mal wahrgenommen, obwohl wir einen großen Beitrag für unsere Demokratie und die Diversität unserer Medienlandschaft leisten.

Es soll eine digitale Medienförderung geben. Ist das die Chance für den heimischen Freien Rundfunk?
Leider nein, denn auch hier liegt eine Marktlogik zugrunde. Es gibt zwar Förderquoten von 50 Prozent, aber dafür müssen freie Mittel zur Verfügung stehen, um die Förderung abrufen zu können. Aber der freie Rundfunk in Österreich ist per definitionem unabhängig. Damit können wir keine Werbegelder einnehmen oder Co-Finanzierungspartner aus der Wirtschaft an Bord holen. Die Förderung ist leider so angelegt, dass unsere Mitglieder kaum Förderungen abrufen können.

Wie können wir die heimische Medienlandschaft zurück auf den Pfad der Unabhängigkeit führen?
Jetzt reden alle von einem Neustart, aber dabei wird tunlichst vermieden, über das Wie zu reden. Ich persönlich bin Realistin. Wenn auf den Österreichischen Medientagen Spitzenmanager großer Medienhäuser nur im Konjunktiv über Haltung und Verantwortung sprechen, dann bin ich nicht sehr optimistisch für die Zukunft. Leider muss ich von einem Weiterwursteln wie bisher ausgehen. Umso wichtiger ist es, den Freien Rundfunk in unserem Land auch zu stärken und gemeinsam mit allen Medien, denen Unabhängigkeit wertvoll ist, für die vielfältige Qualität des demokratischen Diskurses zu arbeiten.

[Interview von Helene Tuma]



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